St. Petersburg: Klassiker oder Neuauflage?

St. Petersburg ist ein Klassiker unter den Brettspielen, doch längst vergriffen. Bei Ebay können zwar noch alte Exemplare zu überhöhten Preisen ersteigert werden, doch das war wohl auch Bernd Brunnhofer, der den Klassiker unter dem Namen Michael Tummelhofer 2004 kreiert hatte, zuwider. Über ein Spendenprojekt wurde kurzerhand Geld gesammelt und St. Petersburg zusammen mit Karl-Heinz Schmiel und den Mitteln von 1262 Unterstützern neu aufgelegt. Was besser oder schlechter ist, wir erklären es euch.

Zunächst einmal muss man sich an das neue Outfit gewöhnen. Es ist deutlich aufwendiger und moderner und – viel wichtiger – ganz gefällig – eben 10 Jahre weiter. Für eingefleischte St. Petersburg-Freunde ist das aber kein großes Hindernis. Und wer das alte Spiel nicht kennt und neue St. Petersburg das erste Mal in Händen hält… nun ja, er hat ja keinen Vergleich. Beim Auspacken fällt als erstes auf, das der Spielplan beidseitig bedruckt ist. Denn: Der Spielplan für das Basisspiel befindet sich auf der Rückseite – oder ist es die Vorderseite. Spielt auch keine Rolle. Auf der einen Seite des Spielplans eben. Diese Seite entspricht dem alten Spiel. Auf der anderen Seite befindet sich jetzt ein Spielplan für 5 Spieler. Endlich, werde manche sagen, obwohl es ja schon eine Erweiterung für fünf Spieler gab. Übrigens: Die bisher erschienenen Erweiterungen liegen dem neuen St. Petersburg auch bei. Auch kann man mit dem Spiel mehrere Module spielen. Aber das nur am Rande. Was wirklich neu ist, ist der Markt. Und der ist toll. Denn er bringt ein völlig neues Spielelement ein, und zwar kein schlechtes.

Fünf unterschiedliche Karten für die fünf verschiedenen Phasen des neuen St. Petersburg

Fünf unterschiedliche Karten für die fünf verschiedenen Phasen des neuen St. Petersburg

Der Markt besitzt einen eigenen Kartenstapel und somit eine eigene Spielphase. Wer mit dem alten St. Petersburg nicht richtig vertraut ist, sollte an dieser Stelle erst die Rezension dazu lesen. Die gibt es hier. Zurück zum Markt. Diese Phase stellt eine fünfte Spielrunde dar. Sie befindet sich zwischen den Handwerkern und den Gebäuden und hat auch Auswirkungen auf andere Spielphasen. Die Marktphase selbst ist in zwei Teilphasen unterteilt. Zunächst werden wie üblich die Karten erworben. Es gibt fünf Güterkategorien  (Huhn, Korn, Äpfel, Fische und Kohl) mit unterschiedlichen Werten (1-5), wobei ich auf die Karte mit dem Wert 1 (orangener Hintergrund) gleich zurückkomme. Sobald man eine Karte erworben hat, verändert man den Stand seines Holzmarkers auf dem Marktplatztableau – darin unterscheiden sich nämlich beide Spielplanseiten. Ein Beispiel: Peter hat eine Karte mit zwei Hühnern erworben und besitzt schon Hühnerkarten im Wert von 3. Auf dem Marktplatz platziert er seinen Hühnermarker dementsprechend auf die 5.

Am Ende der Runde wird der Marktplatz entsprechend des jeweiligen Wertungsplättchens abgerechnet. Wer in einer Kategorie am weitesten vorne ist, bekommt den höheren Wert auf dem Plättchen, der zweitplatzierte Spieler den niedrigeren Wert. Alle anderen Spieler in dieser Kategorie gehen leer aus. Eine Besonderheit kommt wie erwähnt der Karte mit dem Wert 1 zu. Diese gibt es in jeder Kategorie einmal. Auf ihr sind vier Güter abgebildet. Vor der Wertung muss der Besitzer dieser Karte eine Art Miete bezahlen. Diese Miete richtet sich nach dem höheren Wert auf dem Wertungsplättchen der Runde. Zahlt ein Spieler die Miete für seine 1er-Karte, darf er sie behalten und sie zählt ganz normal zur Wertung. Kann oder will ein Spieler die Zeche für seine 1er-Karte nicht bezahlen, kommt die Karte aus dem Spiel und in die Schachtel zurück. Dabei verliert der Spieler natürlich auch seine 4 Punkte in dieser Kategorie auf dem Markttableau.

St. Petersburg im Überblick: Jetzt mit fünf Phasen und dem Markttableau rechts

St. Petersburg im Überblick: Jetzt mit fünf Phasen und dem Markttableau rechts

Man kann aber auch in der Handwerkerphase und der Gebäudephase Punkte für das Markttableau erhalten. So besitzen die teuren Schiffbauer jetzt einen Punkt für eine Kategorie. Auf dem Zar und Zimmermann ist ein Fragezeichen. Hier kann man sich die Güterkategorie für den Markt heraussuchen. Auch auf den Marktständen sind jetzt Güter drauf.

Fazit:

Insgesamt gefällt mir das neue St. Petersburg wirklich gut. Die alte Version hatte bei mir ja schon 5 Sterne. Mit dem Marktplatz kommt jetzt der 5. Spieler im Standard und ein völlig neues Spielelement, das das Spiel noch mehr belebt und es noch besser macht. Also gibt es auch hier 5 Sterne. Und wem das nicht reicht, der kann eine der zahlreichen Varianten spielen. Was allerdings nicht besser geworden ist – und davon lebt ja das Spiel – ist der chronische Geldmangel.

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Spielbewertung für das neue Sankt Petersburg von Bernd Brunnhofer und Karl-Heinz Schmiel

Schwierigkeit Spielspaß Spielreiz Spielgrafik
mittel sehr hoch sehr abwechslungsreich sehr gefällige Grafik
Alter Spieler Spieldauer Spielepreis
ab 10 Jahre 2 – 5 60 min ca. 35 Euro

Gesamturteil:

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Bauwahn in St. Petersburg

20140901_200455Das kennt man ja als Gelegenheitsspieler: Die Prunksucht des Monarchen kennt keine Grenzen. Ein  Zeichen der Größe muss her. Und zwar schnell. Für Zar Peter muss es nicht nur ein Palast sein, nein, gleich eine neue Stadt soll es sein. Eine Stadt mit seinem Namen: St. Petersburg. Die Berater raufen sich die Haare (die Bärte sind ja schon ab), doch willige Arbeiter finden sich zuhauf, die ihr Glück versuchen und einen schnellen Rubel verdienen wollen.

Wohl liefert St. Petersburg (Hans im Glück) von Michael Tummelhofer ein Brett mit, aber im Grunde seines Herzens ist es ein Kartenspiel. Was es auszeichnet: der Spielmechanismus ist eingängig, die Abläufe elegant schnell, so dass nicht aufgrund langer Entscheidungsprozesse lähmende Spielpausen entstehen. Das Spielziel lässt sich mit überschaubarem Aufwand im Blick behalten, so dass ein Verzetteln eigentlich nicht möglich ist. Eigentlich. Sonderangebote, volle Hände und mangelnde finanzielle Möglichkeiten führen aber immer wieder zum Haareraufen. Diesesmal auf Seiten der Spieler.

Auf dem Brett warten vier Stapel mit farbigen Karten auf die Spieler. Der erste Stapel in grün wartet mit den Handwerkern auf. Der blaue Stapel zwei enthält Bauwerke, der dritte orange Stapel Adelige. Der letzte, bunte Stapel bietet mit seinen Spezialkarten von allem etwas.

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Entlang der vier Kartenstapel erstreckt sich das Spiel. Das Brett bietet Plätze für acht Karten. Jeweils zu Beginn einer „Farbphase“ werden die freien Plätze mit der entsprechenden Farbe befüllt, „alte“ Karten bleiben einfach liegen. Das sind – je nach Ablauf der vorigen Runde – mal mehr, mal weniger. Es gilt also, sich bereits bei der vorigen Phase, Gedanken zu machen, ob man Karten der kommenden Farbe erwerben möchte oder nicht. Eine Phase endet jeweils, wenn alle Spieler reihum keine Aktion mehr ausführen möchten. Aktionen sind: Eine offene Karte vom Brett kaufen, eine Karte kostenlos auf der Hand bunkern oder eine Karte von der Hand gegen Zahlung der Kosten auf den Tisch bringen und damit aktivieren.

Die Kriegskasse füllen: die Handwerker

Zunächst kommen die Handwerker ins Spiel. Ihre Kosten variieren zwischen 3 Rubel für den Holzfäller und 7 Rubel für den Schiffbauer. Das Schicke an den Handwerkern: Sie spülen wieder frisches Geld in die Kasse der Spieler. Als Haupteinnahmequelle sollte man sie nicht unterschätzen! Jeder Handwerker, den die Spieler am Ende dieser Phase vor sich ausliegen haben, erwirtschaftet drei Rubel. Daher sind beim Einkauf in der Regel die niedrigpreisigen Vertretern zuerst ausverkauft. Mit der Ausgabe der Einnahmen (für alle Handwerker) endet die Runde. Je mehr Runden so ein Handwerker „arbeitet“, desto mehr Geld bringt er rein – beispielsweise für Bauwerke.

Die Stadt ausbauen: Gebäudephase

Die blaue Phase bringt die St. Petersburg voran. Märkte, Zollhäuser, Feuerwehren, Krankenhäuser, Bibliotheken, sogar Planetarien und Schenken, die besondere Rollen im Stadtbild spielen. In der Regel bringen diese Gebäude Runde für Runde Siegpunkte. Und um die geht es letzten Endes. Allerdings sind die Preise der Gebäude zumindest zu Beginn illusionär hoch. Manch einer verfiel schon auf die Idee, gleich zu Beginn eine Akademie zu bauen, um Runde für Runde die fälligen sieben Siegpunkte zu kassieren – allerdings bezahlte er diese Rieseninvestition mit rundenlanger Mitwirkungsabstinenz. Denn ist das Geld erstmal weg, bleibt nur das Warten auf die nächste Handwerker-Phase. Upps, die war ja gerade erst. Dann bleibt bei der orange Adeligenphase nur das Zusehen.

Die Stadt bevölkert sich: die Adeligenphase

Wenn Gebäude da sind (eigentlich auch, wenn keine da sind – aber die Geschichte lässt sich so schöner erzählen 😉 ) finden sich die Adeligen ein. Adelige ist aber ein weites Wort. Das beginnt bei einem einfachen Schreiber, über den Verwalter zum Kontoristen bis zu Sekretär. Das, was man heute Bürohengste nennen würde. Die arbeiten tatsächlich auch. Aber die bringen im Schnitt weniger Geld rein als die Handwerker. Die ganz teuren Gesellen wie der Kontrolleur, der Richter und die Hofdame geizen aber weder mit Geld noch mit Siegpunkten. Damit sind die Adeligen die perfekte Kombination aus Handwerkern und Gebäuden. Was sie aber wirklich wertvoll macht, ist der Umstand, dass sie am Ende des Spiels nochmals einen ganzen Haufen zusätzlicher Siegpunkte bringen, die häufig das Spiel entscheiden. Dabei gilt es, möglichst viele verschiedene Adelige zu sammeln. Und das bringt es direkt zur Wundertüte des Spiels, den „bunten“ Sonderkarten.

Die Stadt wird bunt

Die Karten im letzten Stapel haben allesamt einen quadratischen Rahmen um ihren Preis. Dieser Rahmen deutet an, dass die Karten nicht einfach so gebaut werden können. Sie „überbauen“ immer eine schon ausgelegte Karte derselben Farbe. Das Beste: beim Auslegen muss immer nur der Differenzbetrag bezahlt werden. Bei den handwerkern muss zusätzlich darauf geachtet werden, dass die Karte dasselbe Symbol trägt. So kann sich ein Pelzjäger – logisch – zu einem Pelzhändler entwickeln, aber nicht zu einer Werft ;).

Nach dieser letzten Phase passiert … nichts. Keine Siegpunkte, kein Geld. Alle noch im Brett-Angebot befindlichen Karten wandern auf die „Schnäppchenrampe“. Sie rutschen eine Ebene tiefer und fallen dadurch im Preis um einen Rubel. Nichtsdestoweniger wird auch jetzt nur auf acht Karten aufgefüllt. Karten, die bereits auf dem Schnäppchentisch lagen, nun ja, das Mindesthaltbarkeitsdatum ist abgelaufen: Sie werden aus dem Spiel entfernt.

Und es geht wieder bei den Handwerkern los …  Das Ganze geht solange weiter, bis einer der vier Stapel abgeräumt ist. Es wird dann in jedem Fall noch bis zu den Sonderkarten gespielt. Häufig sieht man dann noch panische Versuche, fehlende Adelige zu erwerben und die Hand leer zu räumen. Jede der maximal erlaubten drei Karten auf der Hand beschert am Ende fünf Minuspunkte und die Adeligen-Kollektion … darüber hatten wir schon gesprochen. Dass jeweils zehn Rubel noch einen Punkt wert sind, darf als Treppenwitz des Spiels durchgehen. Aber manchmal hat tatsächlich schon dieser eine Punkt ein Spiel entschieden.

St. Petersburg ist ein absoluter Klassiker; sein einfacher Spielmechanismus sowie die moderate Spiellänge laden direkt zu einem zweiten Spiel ein. Und dann macht man natürlich alles besser … und blockiert doch wieder die Haltehand … und gibt sein Geld zum falschen Zeitpunkt aus … und vergisst doch, noch eine Karte rauszunehmen, um in der nächsten Phase auch ein Angebot zu bekommen …

Wem Russian Railroads zu komplex ist, der begibt sich mit St. Petersburg in ruhigere, weniger-dimensionale Gefilde. Aber kein Wunder: Die Handlung spielt ja auch noch ein paar Jahre früher 😉

Vielen Dank an Martin Reti für diese Rezension